1945 - Tagebucheintragungen

Herr Haun schrieb: "Nach meinem Abitur zu Ostern 1942 wurde ich sofort zur Wehrmacht einberufen. Ich hatte das große Glück und kam zu einer Nachrichteneinheit, bei der ich in den ersten Monaten zu einem Spezialisten ausgebildet wurde: zu einem "Horch-Funker". Wir mußten mit einem UKW-Sender und Empfänger, sowie einem Peiler, die feindlichen Funkstationen abhören und ihren Standort bestimmen. Wir waren 8 Funker mit einem Unteroffizier als "Chef" und einem Kraftfahrer des Lastautos. Von April 1943 bis August 1944 wurden wir in Frankreich eingesetzt. Wohl wegen der Technik und des Materials mußten wir immer zurückweichen, wenn sich die Front näherte. Es war eine mobile Funkstation. Im Herbst 1944 waren wir im Rheinland stationiert und kamen kurz vor Weihnachten nach Coesfeld. Als es dort brenzlig wurde, ging es ins Emsland.

Am 04. März 1945 sind wir in Klein Fullen angekommen. Wir 10 Mann wurden einzeln in Privatquartiere verteilt. Ich kam auf den Hof von Herrn Tegeder. Herr Tegeder war 79 Jahre alt, er war früher Landbriefträger gewesen, seine Frau war einige Jahre jünger. Die Tochter, wohl etwas über 30 Jahre, führte für die Eltern die Wirtschaft. Es gab 8 Kühe auf einem Besitz von 12 Hektar Land. Die Landarbeit wurde von einem gefangenen russischen Soldaten ausgeführt. Ich wurde freundlich aufgenommen und gut verpflegt. Einige Kameraden klagten jedoch, sie seien nicht so gern gesehene Gäste. - Das Funkgerät wude auf einem Feld an der Ems aufgestellt und wir hatten jeweils 8 Stunden Dienst (Tag und Nacht) und 16 Stunden frei. Am Abend des 12. März 45 machte ich mich mit einem Kameraden, einem Wiener, auf, um in Meppen das Kino zu besuchen. Leider habe ich nicht notiert, wie der Film hieß. Da ertönten um 20:30 Uhr die Sirenen, es gab Fliegeralarm und die Vorstellung wurde abgebrochen. Wir machten uns wieder auf den Heimweg nach Klein Fullen. Der Himmel war klar und die Sterne funkelten. Als wir gerade auf der Emsbrücke waren, ertönte ein Brummen in der Luft. Ein einzelner feindlicher Flieger! Sekunden später zischten 3 Sprengbomben auf uns herab.Wir sprangen in den Schutz der Brückenpfleiler, während es mehrere Detonationen gab, Splitter durch die Luft flogen und Fensterschreiben klirrten. Da rannten wir, so schnell wir konnten, nach Klein Fullen zurück.

Am nächsten Tag habe ich mir bei Herrn Tegeder ein Fahrrad geliehen und bin noch einmal zur Emsbrücke gefahren. Ein kleines Haus, vielleicht 60 - 80 Meter entfernt, war völlig zerstört. Man sagte, eine Frau sei darin mit ihren beiden Kindern von den Balken erschlagen worden. Mehrere Nachbarshäuser waren stark beschädigt. Dennoch bin ich am Nachmittag des übernächsten Tages wieder ins Kino gegangen und habe den ganzen Film sehen können! Der Bombemangriff hatte bestimmt der Brücke gegolten.

Während es in den ersten beiden Wochen noch keine Flüchtlinge in Klein Fullen gab, trafen am 18. März umfangreiche Transporte von Frauen und Kindern aus Stettin ein. Sie berichteten, daß sie die Stadt verlassen mußten als der Angriff der sowjetischen Truppen einsetzte, sie eine Woche unterwegs gewesen waren und vor Hunger die rohen Kartoffeln in Malzkaffee geröstet hätten.

Als dann Ostern 1945 der Gegner bis ins Münsterland vorstieß, mußten wir in Klein Fullen unsere Zelte abbrechen, es war genau der 3. April. Wir schlugen uns nach Schleswig-Holstein durch und erreichten 10 Tage später Husum, wo Anfang Mai auch für uns der Krieg zu Ende ging. Ich wurde interniert und dann Ende August nach Hause entlassen.

Soweit meine Aufzeichnungen von den letzten Wochen des schrecklichen Krieges. Inzwischen bin ich alt geworden, allerdings meine Schreibmaschine ebenfalls und ein Internet besitze ich nicht.

In meinem Notizbuch steht: "Meppen hatte 1944 5.000 Einwohner", stimmt das? Sie dürfen diesen Text aufheben, veröffentlichen oder wegwerfen, mit ist alles recht.

Ich grüße sie vielmals

Wilhelm Haun



Vom Heimatverein Fullen e.V. hat Herr Braun zum Dank für den Brief eine Chronik der 1150-Jahr-Feier zugeschickt bekommen.



Mit Schreiben vom 19.03.2014 teilte Herr Braun dann mit, dass er in seinen Aufzeichnungen noch eine Notiz gefunden habe: "Einen Tag vor unserm Abzug aus Fullen, am Osterfest, dem 1. April 1945, fünf Tage vor Ankunft der ersten kanadischen Soldaten, war ich von der Familie Bernhard Bartels zum Mittagessen eingeladen worden, wo die Kinder Eier werfen mußten."



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