Die Zeit des dritten Reiches

Im Wesen des Nationalsozialismus lag es begründet, die Menschen in ihrer Ganzheit, also total zu kontrollieren. Das bedeutete, dass man die Partei und alle anderen nationalsozialistischen Organisationen bis in die kleinsten Gemeinden hineinwachsen lassen musste. Das lässt sich am Beispiel Fullen genauso nachweisen, wie an vielen anderen vergleichbaren Orten.

"Einer baut einen Dom, nicht aus Marmor mit bunten Fenstern und Kerzen, einer baut einen Dom aus dem Blutstrom lebender Herzen!" So heißt es, pathetisch übersteigert, in dem Text, den man zu Beginn der NS-Zeit, in den dreißiger Jahren, das "deutsche Credo" nannte. Damit ist eindeutig, wer hier als Erbauer des neuen Domes gepriesen wird. Es geht - wie in vielen Texten aus dieser Zeit - um eine Art Vergöttlichung des NS-Führers Adolf Hitler. Viele Kinder mussten diesen Alternativtext zum Credo der katholischen Kirche in der Schule auswendig lernen, ob sie oder ihre Eltern es wollten oder nicht. Nicht selten ist es aber gerade deswegen zu Spannungen und Unruhen in der Bevölkerung gekommen.

Die NSDAP hatte in Fullen einen Block mit einem Blockleiter an der Spitze, der dem Ortsgruppenleiter in Meppen unterstand. Neben dem Ortsbauernverband, der allerdings nie ganz parteiergeben gewesen ist, gab es eine Gruppe der NS-Arbeitsfront und einen SA-Trupp, die kleinste Einheit in der SA. Eine NS-Jugendorganisation, die Hitlerjugend (HJ), existierte bereits seit 1933. Anfangs allerdings nur mit vier Mitgliedern. Durch Propaganda und Überredung gelang es jedoch, sie weiter auszubauen. Ein wenig vereinfachend heißt es: "Durch persönliche Aussprache mit den Eltern gelang es, immer mehr Kinder in die nationalen Jugendverbände hineinzubekommen". Tatsache ist, dass die Mitgliederzahlen auch schon vor 1936 zunahmen und 1935 in Fullen der Bund deutscher Mädchen (BdM) gegründet werden konnte. Es gab jetzt alle Organisationen der HJ: Das Deutsche Jungvolk (DJ) für die 10 - 14jährigen Jungen, die Gefolgschaft für die 14-18jährigen Jungen, den BdM (14 - 18jährige Mädchen) und die Gruppe der Jungmädchen (JM) für die 10-14jährigen Mädchen. In der Folgezeit, besonders seit 1936, als die Hitlerjugend Staatsjugend geworden war und andere Jugendorganisationen nicht mehr nebenher existieren durften, wird immer wieder von Sonnenwendfeiern, die "dem jungen, unberührten Moorboden die erste Weihe" geben sollten, von festlich begangenen Erntedankfesten, auf denen "das Gefühl des Bauernstolzes, aber auch des Verantwortungsbewusstseins für das deutsche Volk" geweckt werden sollte, von Lagerfesten beim Reichsarbeitsdienst (RAD), von "weihevoller Flaggenhissung am neu errichteten Flaggenmast vor der Schule" und von der erfolgreichen Durchführung der nationalen Gedenktage im Sinne des "herrlichen Führers" gesprochen. Schon 1935 wird der Samstag regelmäßig als Staatsjugendtag begangen mit Dienst, Feiern, Filmvorführungen (seit 1938) oder Arbeiten an dem für die Gemeinden Groß Fullen, Klein Fullen und Versen nicht nur geplanten, sondern schon in Angriff genommenen HJ-Heim an der Straße nach Schöninghsdorf. "Die Jugend ist für all diese Fragen der Volksgemeinschaft zu begeistern", stellt der Chronist der Schulchronik der Schule in Groß Fullen befriedigt fest. Doch ist er andererseits ehrlich genug, auch Schwierigkeiten und Rückschläge anzumerken: "Man hat allerdings manchmal den Eindruck, als ob die Elternschaft all diesem Eifer der Jugend verständnislos, ja abwehrend gegenübersteht. Das beweist die Feier am 1. Mai und am Erntedankfest, an denen nur wenige im Dorf ihre Häuser und Höfe geschmückt hatten. Als im Juni 1936, am Tage vor Fronleichnam, Adolf Hitler unerwartet in Meppen erschien, war fast kein Kind in Meppen gewesen, obwohl sie davon unterrichtet waren.

So stießen denn auch manche Maßnahmen, wie z. B. die Einführung des Landjahres, auf Widerstand. Anfangs half man sich selbst, und zwar auf seine eigene Art und Weise: Als ein kleiner Funktionär öffentlich herausposaunte, er gehe nicht mehr in die "Pfaffenkirche", da bekam er eine Tracht Prügel, die der Pfarrer kommentierte: "Und es scheint geholfen zu haben. Ich habe ihn seitdem schon wieder in der Kirche gesehen."

Auch das Umhängen des Kreuzes, das dem Führerbild weichen sollte, brachte Unruhe ins Dorf. Der Schulchronist führt alles auf die "Hetze des Pfarrers ... und einiger gewissenloser Treiber in der Gemeinde" zurück. Der Bürgermeister fordert öffentlich, dass das Führerbild, das den Platz des Kreuzes jetzt einnahm, wieder an die Seitenwand gehängt werden müsse. Neue konkrete Schwierigkeiten treten auf, als neben dem "katholischen Credo" das schon genannte "deutsche Credo" in Umlauf kommt. Sogar in der Kirche gehen die Wellen hoch: Während der Messe kommt es zu einer öffentlichen Abstimmung. Die Situation spitzt sich immer mehr zu.

Der Kirchenvorstand erhebt zweimal massive Vorwürfe beim Regierungspräsidenten gegen einen Lehrer der Gemeinde. Es geht um dessen "glaubensfeindliches Verhalten" und um seine persönliche Einstellung zur Jugend und zur Schule. Auch mehrere Eltern und an der Front kämpfende Soldaten, die Heimaturlaub haben und Einzelheiten bestätigen können, schreiben an die Regierung in Osnabrück. Eine Untersuchung wird angesetzt: Rein äußerlich müssen sich auf einer Bürgerversammlung Bürgermeister und Lehrer im Beisein von Landrat und Kreisleiter die Hand zur Versöhnung geben. Dennoch ist der Konflikt in Wirklichkeit nicht beigelegt.

Durch Gespräche zwischen dem Generalvikariat und der Regierung, bei denen es um die Versetzung des Lehrers geht, wird vom Vertreter des Regierungspräsidenten zunächst die Versetzung des Pfarrers gefordert, da "ein erträgliches Verhältnis zwischen Pfarrer und Lehrer nicht wiederhergestellt werden kann" (Schreiben des Regierungspräsidenten an den Bischof von Osnabrück vom 4.12.1939, Diözesanarchiv Osnabrück). Der Bischof lehnt eindeutig ab (In einer Randnotiz des genannten Schreibens heißt es: "Nie!"). Er bezieht sich auf kirchenrechtliche Bestimmungen, die eine Versetzung ohne Einwilligung des Pfarrers nicht zulassen. Der Pfarrer wird von der bischöflichen Behörde angewiesen, über den Streit "gar nichts mehr schriftlich oder mündlich ... verlauten (zu) lassen" (Briefnotiz vom 23.2.1940, Diözesanarchiv Osnabrück). So zieht sich alles bis in das Jahr 1940 hin.

Die Gemeinde, mit dem Bürgermeister an der Spitze, griff, von beiden Seiten angerufen, ein, wehrte sich aber immer wieder gegen zu eindeutig nationalsozialistisch geprägtes Gedankengut. Nicht umsonst wird von dem "sehr konservativen Bauerndorf" gesprochen.

In einem Gespräch am 23.2.1940 (Briefnotiz vom 23.2.1940, Diözesanarchiv Osnabrück) wird von der Geheimen Staatspolizei der Vertreter des Generalvikariats deutlich darauf hin-gewiesen, dass man staatlicherseits wegen Hetze gegen den Lehrer den Pfarrer nicht mehr dulden könne. Die Notiz lässt den Schluss zu, dass der bischöfliche Vertreter sich beugen wird, da er fragt, ob der Pfarrer bis einschließlich Weißen Sonntag (wegen der Erstkommunion) im Amt bleiben dürfe. Dieses Zugeständnis wird gemacht. Der Pfarrer wird in das Generalvikariat eingeladen und verzichtet ein paar Tage später schriftlich auf sein Amt. man darf annehmen, dass dieser Schritt nötig war, um Schlimmeres zu verhüten und das persönliche Wohl des Pfarrers zu garantieren. Er wird mit Wirkung vom 15.4.1940 als Pfarrer in ein anderes Emslanddorf versetzt.

Die Schulchronik stellt den Sachverhalt anders dar. Dort heißt es, dass "Treibereien gegen den Lehrer ... von gewissen reaktionären Elementen" weitergeführt wurden, "so dass sich die Geheime Staatspolizei genötigt sah, den Pfarrer ... seines Amtes zu entheben." Zu Beginn des Schuljahres 1940/41 beginnt die Lehrerin der Volksschule ihren Jahresbericht sehr lapidar mit: "Zu Beginn des Schuljahres wurde der Lehrer ... versetzt."

"Sie hätten sich vertragen sollen", mag der eine oder andere denken, doch darum ging es nicht. Hier stießen in den Personen des Pfarrers und des Lehrers nicht nur zwei unterschiedlich denkende und unterschiedlich handelnde Personen aufeinander, sondern an den Spannungen zwischen diesen beiden Personen wurden (trotz sicherlich vorhandener persönlicher Antipathien) prinzipielle Unterschiede sichtbar, die vom Ansatz her nicht miteinander vereinbar waren. Der Anspruch des Nationalsozialismus, den Menschen total, d. h. in seiner Ganzheit, zu vereinnahmen, musste zu Widerspruch und Aufbegehren in der Kirche führen. Wir wissen, dass die Vertreter der Kirche ihre Haltung unterschiedlich stark und auch unterschiedlich deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Konkret heißt das: Der Kardinal von Galen in Münster hat anders gehandelt als der Kardinal Bertram von Breslau, der Pfarrer in unserem Emslanddorf anders als ein anderer, der möglichst oft die Hand zum deutschen Gruß erhob. Wer es richtig gemacht hat, bleibt sicher noch lange umstritten, doch eines muss festgehalten werden: Die katholische Kirche war mit ihren Vertretern, so unterschiedlich sie sich auch verhalten haben mögen, die Organisation, die sich gegenüber dem NS-Staat ein Wort erlauben konnte und die es auch getan hat.


Aus den Emsland-Veröffentlichungen von Eugen Kotte.

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